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Beitrag vom 31.05.2011
TERRE DES FEMMES fürchtet fatale Signalwirkung durch Urteil im Kachelmann-Prozess
AVIVA-Redaktion
Der Fall Kachelmann beschäftigte die Medienberichterstattung seit Monaten und ganz Deutschland diskutiert über dessen mögliche Täterschaft. Das Leid der beiden Opfer kommt dabei kaum zur Sprache.
Der ehemalige ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann wurde am 31. Mai 2011 aus Mangel an Beweisen vom Landgericht Mannheim von dem Vorwurf der schweren Vergewaltigung freigesprochen.
"Durch die Berichterstattung um diesen Prozess und die Vorverurteilung der Klägerin in Teilen der Öffentlichkeit geht ein fatales Signal aus an alle Betroffene von sexualisierter Gewalt. Sie werden sich in Zukunft noch weniger trauen, Anzeige bei einer Vergewaltigung zu erheben," befürchtet Christa Stolle, Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES.
"Außerdem wird gewalttätigen Männern nicht das Gefühl vermittelt, dass übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen verwerflich ist," sagt Christa Stolle. "Selbst eine moralische Ächtung durch die Öffentlichkeit ist kaum noch vorhanden, wenn sich Prominente für beschuldigte Männer öffentlich einsetzen."
Alice Schwarzer, Journalistin, Chefredakteurin und Herausgeberin der Emma, äußerte sich in ihrem Editorial Es geht um viel mehr als zwei Menschen
im Oktober 2010 folgendermaßen: "Sollte das Gericht die Wahrheit nicht herausfinden und käme es auf einen Freispruch ´Im Zweifel für den Angeklagten´ raus, dann wäre das eine Katastrophe. Und zwar nicht nur für die Ex-Freundin und Jörg Kachelmann, sondern für Millionen Frauen. Sie, die endlich angefangen haben zu reden, würden wieder verstummen."
Gewalt gegen Frauen symbolisiert auf schmerzhafte Art und Weise die immer noch deutlich existierende Machtdifferenz zwischen Männern und Frauen. Eine Vergewaltigung ist einer der schlimmsten Ausdrücke von Macht, die ein Mann an einer Frau ausüben kann. Im Gegensatz zu Häuslicher Gewalt, bei der in Ausnahmefällen auch Männer die Opfer sein können, wird sexuelle Gewalt fast ausschließlich von Männern an Frauen ausgeübt.
Vergewaltigungen geschehen täglich und meistens nicht durch einen Unbekannten. Die Hälfte der Taten passiert innerhalb einer Beziehung, innerhalb der Familie oder innerhalb des Freundes- und Bekanntenkreises. Und es geschieht weitgehend unbemerkt: Die Dunkelfeldforschung geht davon aus, dass nur 5% der Sexualstraftaten überhaupt zu einer Anzeige gebracht werden. In Deutschland sind das immerhin 8.000 Fälle jährlich.
Die Gründe der geringen Anzeigenbereitschaft liegen unter anderem in der Schwierigkeit, Beziehungstaten nachzuweisen, in der Angst vor Reaktionen innerhalb der Familie und des Umfelds und in der fehlenden psychischen und finanziellen Kraft, ein langwieriges Gerichtsverfahren zu überstehen. In Berlin und Brandenburg können sich weibliche und minderjährige Opfer von Gewalt bei Antje Prinz, Geschäftsführerin von AHGATA- Hilfe für die Zeugin, das Büro für Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung, beraten lassen.
Weitere Informationen:
Terre des Femmes ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, die durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfallhilfe, Förderung von Projekten und internationale Vernetzung unterdrückte Frauen unterstützt. Schwerpunktthemen sind u.a. häusliche Gewalt, Zwangsheirat und Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsprostitution sowie die Rechte von Textilarbeiterinnen. Der Verein wurde 1981 gegründet, die Geschäftsstelle befindet sich in Tübingen.
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